Montag, 9. März 2009

Vom Westen nicht viel Neues

Die Hälfte der ersten hundert Tage hat die neue US-Regierung hinter sich, doch die islamische Welt hat vom versprochenen „Wechsel“ bestenfalls Andeutungen gesehen.

Nach ihrem spektakulären Wahlkampf zeigte sich US-Außenministerin Hillary Clinton vergleichsweise nachgiebig mit dem möglichen israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu. Während Bulldozer in Ost-Jerusalem 80 Palästinenser-Häuser planierten und in der Westbank 170 frische Siedlerhäuser entstanden, sprach sich die Führungsfigur der sich abzeichnenden neuen israelischen Rechtsfront undiplomatisch klar gegen die noch unter Bush geforderte Zwei-Staaten-Lösung in Palästina aus – und auch gegen weitere Friedensgespräche mit Palästinensern gleich welcher Couleur. Clintons Begleiter, Nahost-Sondergesandter George Mitchell, fordert seit Jahren ein Ende jeglicher jüdischer Neubauten im Palästinensergebiet. 900 Millionen Dollar für den geschundenen Gaza-Streifen liegen auf Eis, weil die US-Regierung derzeit studiert, wie sie das Geld an der 2006 demokratisch gewählten Hamas-Regierung vorbeileiten kann.

In Afghanistan kam eine spektakuläre Kehrtwendung mit einem Obama-Interview in der New York Times. Darin beantwortete Obama die Frage nach dem Sieg der USA am Hindukusch kurz, hart und klar mit: „Nein.“ Gleichzeitig stellte er fest, die afghanische Regierung habe bis heute nicht das Vertrauen des Volkes gewonnen und sprach sich dafür aus, dass US-Militärs mit gemäßigten Taliban Gespräche führten. Hierzu muss gesagt werden: Gemäßigte Taliban gibt es nicht. Entweder Taliban, dann gilt die Linie von Mullah Omar – oder nicht Taliban. Schattierungen dazwischen sind Privatmeinungen ohne echte politische Bedeutung.

Dennoch: Für Afghanistan ist das ein politischer Erdrutsch, der langsam Fahrt aufnimmt, denn das Interview bereitet eine große internationale Afghanistan-Konferenz mit allen 37 „Geberländern“ und Anrainer-Staaten Ende März vor, deren Gewicht und „Neugier-Faktor“ mit diesem Interview gewaltig gestiegen sein dürfte. Auch in der bewaffneten Opposition wird der mutige Schritt Obamas insgeheim begrüßt und als die vorhergesagte Wende betrachtet. Doch beginnt die Arbeit erst an diesem Punkt. Westliche Medien berichten über liberale Politikversprechen der Taliban durch deren ex-Finanzminister Mullah Mutassim (auch: Mohtasem) Agha Jan, berichten jedoch nicht, dass er ranghohes Mitglied der Talibanführung („Rahbari Shura“) mit Zuständigkeit für Politik und Kultur ist – und vor allem: offiziell ernannter außenpolitischer Unterhändler.

Dass Militärs die Verhandlungen führen sollen, wird vielleicht als psychologische Maßnahme richtig verstanden, denn nur so lernen die Generäle aus erster Hand die ebenso klare wie harte Haltung der Taliban kennen: vollständiger Abzug aus Afghanistan gegen Entgegenkommen bei den Modalitäten. Der Fall Afghanistan ist anders als die Lage im Irak, wo die USA auf unabsehbare Zeit 50.000 Mann stationiert halten wollen. Das werden die Taliban niemals akzeptieren – und so ist auch erfreulich, dass Obama in seinem klugen Interview zeigte, dass die beiden Länder sich stark unterscheiden und deshalb auch unterschiedlicher Lösungen bedürfen.


An den Hindukusch senden die USA also statt deutlich mehr und effizientere Entwicklungshilfe vor allem mehr Truppen, 17.000 Mann, für 60 Millionen Dollar pro Tag. Im Frühjahr kommen zunächst 8.000 Mann von der Elitetruppe Marines, später noch einmal 9.000 Army-Soldaten. Dies soll angeblich die Wahl im August absichern. Doch in diesem einen Monat können die Taliban wegen der Schulferien an Pakistans Religionsschulen 50.000 Kämpfer mehr einsetzen als sonst. Vergeblich forderte Karzai deshalb Wahlen im April.

Im Interview hat Obama in der Frage der Gefangenen und ihrer Rechte unmissverständlich klargestellt, dass sie bis Jahresende alle rechtliches Gehör und körperliche Unversehrtheit bekommen, unabhängig davon, wo sie einsitzen. Dazu gab er erneut klar an, dass nicht gefoltert werde. Ungeklärt bleibt das Thema der systematischen Verletzung der Würde und Scham, zum Beispiel durch körperliche Untersuchungspraktiken und zwangsweise Entkleidungen, von den nächtlichen Überfällen auf friedliche Dörfer und ihre zivilen Bewohner und Familien sowie offenbar absichtlichen oder zumindest grob fahrlässigen Bombardements auf Zivilisten ganz zu schweigen.

Afghanistans führender US-General David McKiernan verstößt unterdessen gegen das Handbuch zur Aufstandsbekämpfung von Centcom-Chef General David Petraeus. Das Werk verlangt, Probleme der Bevölkerung des Gastlandes vor allem dann nachhaltig zu adressieren, wenn sich daraus die Glaubwürdigkeit von Aufständischen nährt und die örtliche Regierung nicht damit fertig wird. Außerdem ist die Sicherheit der Bürger ganz oben auf der Prioritätenliste. Vor allem jedoch gilt es demnach, Aufständischen jegliche Rückzugsmöglichkeiten zu verwehren und die Grenzen des Gastlandes zu sichern; beides gelingt nicht, dank Pakistan, das selbst hilflos bleibt gegenüber den fremden und den eigenen Taliban und spektakulären Anschlägen islamischer Kampfgruppen mit Verbindungen zum Militärgeheimdienst ISI.


Die USA geben inzwischen offen zu, ihre ferngelenkten Drohnen für Luftangriffe auf Ziele in Pakistan vereinbarungswidrig von pakistanischem Boden aus zu starten. Zum Erstaunen vieler Beobachter haben die USA den lokalen Friedensschluss mit den Taliban im Swat-Distrikt ausdrücklich unterstützt. 2006 gab es in Nordwaziristan ein ähnliches Abkommen, heute treiben auch dort die USA mit ihren Feuerüberfällen die Bewohner in die Arme der Aufständischen. Immerhin hat Obama am Wochenende ebenfalls erklärt, er wolle mit Pakistan effizienter zusammenarbeiten. Das sieht nach einer besseren Lösung aus als die Kriegsdrohungen der Bush-Administration gegen die in starke Mitleidenschaft unserer Fehler in Afghanistan gezogene Atommacht.

Obama zeigt auch, dass man in Washington nunmehr begriffen hat, dass man die Probleme beider Länder nicht getrennt sondern nur zusammen angehen kann. Aber auch hier ist noch nichts festgelegt, und es ist keineswegs ausgemacht, dass die USA sich ausschließlich für hilfreiche Schritte entscheiden werden. Schließlich ist der Preis für eine tatsächlich nachhaltige Lösung hoch: Vor allem Großbritannien, aber auch die USA, müssten sich entschließen, für die Fehlentscheidung bei der Grenzziehung in der zwischen Pakistan und Indien umstrittenen Provinz Kaschmir aus dem Jahr 1948 die volle politische Verantwortung zu übernehmen – und gemeinsam mit Indien eine möglichst schmerzarme Lösung anstreben, was politisch/finanziell sehr teuer werden könnte und wenig wahrscheinlich ist.

Im Irak wollen die USA mit etwa 50.000 Mann die sogenannte „Grüne Zone“ in Bagdad besetzt halten. Dort haben nicht nur die wichtigsten US-Einrichtungen ihren Sitz, sondern auch Iraks Parlament und Regierung. Völlig ungeklärt ist überdies der Abzug zigtausender privater Söldner.

Nachbar Iran fragt sich weiterhin, welches konkrete Angebot Obama in seiner „ausgestreckten Hand“ hält. Der Vorsitzende des sicherheits- und außenpolitischen iranischen Parlamentsausschusses, Alaedin Brojerdi, bekräftigte am Freitag in Berlin, der Iran sei dafür offen, auch angesichts der Über- und Eingriffe der USA gegen Iran in den vergangenen 60 Jahren. Zur Atomfrage erklärte Brojerdi, man habe die Internationale Atomenergiekommission in Wien gebeten, alle vorhandenen Fragen zu stellen und diese zufriedenstellend beantwortet. Weitere Fragen seien nur eine „absurde Endlos-Spirale“. Das erste Atomkraftwerk gehe „hoffentlich bald“ in Betrieb, die Brennstäbe seien geliefert. Zum „Massenmord an der Gaza-Bevölkerung“ sagte Brojerdi nicht ohne feines Lächeln, die Mörder gehörten vor ein internationales Gericht.


(Dort, in Den Haag, wurde sinnigerweise soeben Sudans Präsident Bashir angeklagt, der sich seit Jahren im Kampf um Macht über die Rohstoffe seines Landes, vor allem Öl, eines amerikanisch-israelisch unterstützten Aufstands erwehren muss.)

Brojerdi sagte außerdem zu, humanitäre Hilfstransporte für Afghanistan via Iran seien möglich, militärische nicht, der Iran wünsche den Nato-Abzug aus Afghanistan. Brojerdi hielt sich auf Einladung des Außenausschusses des Bundestages in Deutschland auf. Dabei wurde technische und weitere geheimdienstliche Zusammenarbeit „gegen Terror und Drogen“ in Afghanistan vereinbart, dafür soll deutsche Technologie geliefert werden. Deutschland bemühe sich um Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen, insgesamt bewertete Brojerdi die bilaterale Lage positiv.

Doch US-gestützte Angriffe irakischer Kurden und Attacken westlicher Spezialkommandos gehen weiter, ebenso die unter Bush stark ausgeweiteten Geheimdienst-Aktivitäten.

Im Moment sieht es für viele Muslime immer noch so aus, als müssten erst die USA ihre geballte Faust öffnen, bevor die Beziehungen vorankommen.

Von Christoph R. Hörstel, der als Journalist (u. a. ARD-Korrespondent) und Politikberater seit vielen Jahren enge Kontakte in die Region hat. Von ihm erschien 2007 bei Droemer/Knaur »Sprengsatz Afghanistan« und 2008 im Kai Homilius Verlag das Buch »Brandherd Pakistan«.

Ich freue mich, dass Herr Hörstel bei unserem Treffen am 17. - 18. April als einer der Hauptredner interessante Vorträge präsentieren wird.

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