Mein Name ist Meiko, komme aus Berlin, und die Geschichte über die ich hier berichten will begann vor vielen hundert Jahren, aber um nicht zu weit auszuholen, den Kolonialismus und das voreuropäische Amerika nicht zu weit erläutern will, mache ich einen Sprung in die 1980er.
In einem Land namens Mexiko machten sich eine Gruppe marxistischer Intellektueller aus Mexiko City auf um in den verarmten Gebieten im Süden des Landes eine Revolution im Stil klassischen Guerillakampfes anzuzetteln. Sie lebten von da an Jahre im Dschungel und bauten Netzwerk und Struktur ihrer EZLN auf. Als am 1.Januar 94 parallel zur Gründung der NAFTA, der nordamerikanischen Freihandelszone, diese Gruppe fünf Städte im Bundesstaat Chiapas besetzten, sah alles zuerst nach einem klassischen ideologischen Auftritt einer bewaffneten Bewegung aus, was sich aber dann schlagartig änderte. Die Zapatisten griffen nie wieder zu den Waffen, nachdem die Bevölkerung sie zum Frieden aufforderte. In den ersten Januartagen 1994 holten sich die indigenen Mexikaner das Land zurück was ihnen vor Jahrhunderten geraubt wurde und begannen dort etwas eigenes aufzubauen.
Als Menschenrechtsbeobachter habe ich diese kleine Welt besucht: In den 15 Jahren seit dem Aufstand hat sich einiges getan. Hunderttausende Indigene haben sich ein eigenes System auf regionaler Basis stützend aufgebaut was in sich autark ist. Es ist eine Mischung aus ihrer ursprünglichen stakt demokratischen dörflichen Lebensweise unter Einfluss einer sich verändernden Welt. Um nicht zu weit auszuholen und um die wesentlichen Eckpunkte ihrer Selbstorganisierung, von der es durchaus etwas zu lernen gibt, darzustellen- beschreibe ich diese nun stichpunktartig:
Regionale Zentren:
Das sind die grössten Bezirke der Zapatisten. Sie heissen Caracoles (Schneckenhäuser), es gibt ihrer z.Z. fünf und sie haben jeweils ein Zentrum in dem die gute Regierung sitzt. Eine gute Regierung hat hauptsächlich verwaltungstechnische und justizielle Aufgaben. Die Idee ist das dort jeder mal regiert und auch nicht zulange bleibt was durch ein Rotationsprinzip geregelt ist. Um ein Caracol gibt es ca.7 Bezirke die manchmal jeweils noch eigene Zentren haben in denen gelegentlich auch noch Gutregierende tätig sind, also es ist dort nicht alles und überall gleich da jeder lokale Zusammenhang selbst definieren kann wie gelebt wird.
Landwirtschaft:
Auf den Feldern der früheren Großgrundbesitzer hat sich eine teils kollektive Form der Landwirtschaft entwickelt. Teilweise weil es auch durchaus Familien gibt die nur ihre eigenen Feldern bewirtschaften aber die Produktionsmittel häufig Allgemeingut sind. Es wird für den eigenen Bedarf produziert und Überschüsse auf den Märkten umliegender Städte verkauft oder getauscht.
Kooperativen:
Kaffee zum Beispiel wird in einer kooperativen Form produziert. Der Handel ist direkt, Abnehmer sind Freunde ökologischen Kaffees in Europa und Nord- und Mittelamerika. So werden gerechte Preise gezahlt und Überschüsse wandern in die Infrastruktur der Gemeinden. Es gibt auch viele andere Kooperativen zum Beispiel Frauen die Kunsthandwerk herstellen und sie alle haben den Vorteil dass dort jeder mitentscheiden kann wie gearbeitet wird, was mit den Einnahmen geschieht usw.
Bildung:
Nach anfänglichen Problemen gibt es nun recht viele Lehrer und Schulgebäude. Die Gemeinde sorgt für sie dadurch dass Eltern der Kinder dem Lehrer sein Feld beackern oder ihn anderswie versorgen. Der Unterricht ist frei und meistens ohne Noten und anderen Bestrafungen.
Gesundheit:
Jedes Dorf hat ein Gesundheitshaus wo meistens auch eine Person mit medizinischen Kenntnisse anzutreffen ist, die wie die Lehrer von der Gemeinde versorgt werden.
In den Caracoles gibt es auch Kliniken die für komplexere Krankheiten und Verletzungen aufgesucht werden und über Krankenwägen verfügen. Vielerorts wird versucht verloren gegangenes Heilwissen wieder aufzufrischen. Im Zuge der Globalisierung wurden Medikamente verteilt über deren Nutzen und Sinn die Patienten teils betrogen und so ausgenutzt wurden.
Energie:
Solidarische Leute aus anderen Ländern spendeten ein Wasserwerk und viele Gemeinden klauen sich den Strom noch. Alternativen scheitern noch an dem knappen Investitionsmöglichkeiten der Gemeinden. Der Energiebedarf insgesamt ist gering.
Transport:
Privatautos kann und will sich wohl niemand leisten in den autonomen Gemeinden. Es gibt Taxikooperativen und alle Transportwagen etc. werden nach Bedarf geteilt. Häufig gibt es einen Linienverkehr von den Dörfern organisiert.
Justiz:
Bei Streitfragen wird die gute Regierung aufgesucht die dann versucht eine Lösung zu finden. Für Diebstahl oder häusliche Gewalt kann man in das kleine Dorfgefängnis kommen. Es ist ein Raum in der Dorfmitte mit offenen Gittern wo dann der Bestrafte die Möglichkeit hat über sein Vergehen zu reflektieren und häufig die davon Betroffenen mit ihm kommunizieren. Täter die aus unorganisierten Zusammenhängen kommen und häufig im Auftrag privater Geschäftsleute oder korrupter Politiker handeln werden an die mexikanische Justiz übergeben.
Religion:
Es gibt verschiedene Kirchen, aber auch Atheisten, der Zapatismus ist keine klassische Ideologie sondern steht für ein: "fragend schreiten wir voran". Es gibt Religionsfreiheit aber auch Religionskritik.
Verteidigung:
Die Zapatisten mögen keine Gewalt und sehen ihren Aufstand 94 aus der Perspektive auch sehr kritisch, da sie jedoch bedroht und auch angegriffen werden existiert noch eine Miliz für den Notfall. Diese übernimmt jedoch keine anderen Aufgaben als für den Verteidigungsfall ("Bevor sie uns töten werden wir uns wehren") bereit zu sein.
Fazit:
Die Zapatisten haben es hinbekommen sich unabhängig zu machen. Wirtschaftskrisen belasten sie daher nicht besonders. Vieles ist noch einfach und in der Entwicklung aber es leben dort sehr glückliche Menschen. Nachbarn die sich der Selbstorganisation nicht angeschlossen haben und Geld von der Regierung nahmen, denen geht es nun wirtschaftlich schlechter, sie dürfen aber auch teilweise die Infrastruktur der Zapatisten nutzen, vor allem bei Justizfragen gehen viele mittlerweile lieber zur guten Regierung als zu den korrupten offiziellen Gerichten und auch die Gesundheitseinrichtungen sind nach zapatistischer Auffassung für alle da.
Wie in jeder Gegend der Welt sind die Zapatisten eigen in ihrer Lebensweise und ihr Konzept lässt sich nicht einfach kopieren, aber eines beweist es: Wir brauchen keine Angst zu haben uns darauf einzustellen uns selbst zu versorgen, denn es funktioniert und erst wenn es auch in unserem Leben funktioniert brauchen wir keine Angst mehr vor denen zu haben, in deren Abhängigkeit wir uns noch befinden. Etwas ist mir darüber hinaus dort bewusst geworden: Glück und Konsum können völlig unterschiedliche Dinge sein.
Mittwoch, 18. Februar 2009
Bericht über Selbstorganisation in Mexiko
Eingestellt von Freeman-Fortsetzung um 15:05
Labels: Leben, Südamerika, Volksreporter
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