Freitag, 30. Oktober 2009

In Österreich werden seit über einer Woche Universitäten besetzt

Aus Österreich habe ich folgenden Bericht über die Besetzung der Universitäten im Lande bekommen:

„Wessen Bildung? - Unsere Bildung!“

Video vom 24. Oktober – Tag 3 der Besetzung



Wie alles begann..

Am Mittwoch, den 21.10. werden auf der Uni Wien Flyer verteilt, die zu einer Demonstration gegen die derzeitigen Studienbedingungen in Österreich aufriefen. Die Initiatoren sind StudentInnen der Akademie der bildenden Künste, zusammen mit StudentInnen der Universität Wien.

Dass die Studienbedingungen fatal sind, erfährt man als Studentin an der Uni Wien leider täglich auf's Neue. Dass daran etwas zu ändern sei, die Hoffnung darauf war bei mir bislang sehr gering. Der Bologna-Prozess ist schon längst in Kraft, wirkt sich aktiv auf die Studienpläne aus, schränkt Studierende und Lehrende in ihrer Autonomie ein und macht die Universitäten zu Produktionsstätten von gleich geschalteten Akademikern. (Übrigens: Eckpunkte des Bologna-Konzepts wurden vom ERT (European Round Table of Industrialists), einem Verbund von Unternehmen wie Bertelsmann, Daimler und Thyssen, erarbeitet. Die Ausarbeitung der Struktur der universitären Bildung wurde also einem Verbund von Wirtschaftsmagnaten in die Hände gelegt!)

Die Demonstration startet schließlich am Donnerstag, den 22. 10. mit ca. 400 Studierenden und läuft eine kurze Strecke, von der Votivkirche über den Haupteingang der Uni Wien, in den Arkardenhof (mit Zwischenrede per Megafon), und schließlich zum Auditorium Maximum, dem größten Hörsaal der Universität, unter Rufen wie „Wessen Uni? UNSERE UNI“. Im Audi Max versammeln sich die Demonstranten, inzwischen haben sich bereits mehrere interessierte StudentInnen angeschlossen. Die Vorlesung in Biologie, die dort gerade stattfindet, muss abgebrochen werden. Ein Forderungskatalog wird von den Protestierenden vorgelesen, eine Rednerin ruft anschließend zur Besetzung des Audi Max auf, was mit einer zwei-drittel-Mehrheit (Abstimmung per Handzeichen) beschlossen wird.

Dass das Auditorium Maximum bis zum heutigen Tage nicht geräumt sein würde, und sich das Ganze zu einer österreichweiten Bewegung ausweitet, hatten wir damals allerdings noch nicht geahnt.

Anfangs ist die Besetzung sehr chaotisch. Es formieren sich nach und nach Arbeitsgruppen, die das Ganze weiter strukturieren und organisieren. Es finden immer wieder Plena statt, die über die Arbeiten der Arbeitsgruppen informieren und den Stand der Dinge. Schnell ist auch die Presse informiert und fotografiert am Morgen des zweiten Tages bereits die gemalten Plakate, Spruchbänder, Kreidekunstwerke und Alkoholleichen von der großen Party, die Nachts (wie sollte es unter StudentInnen auch anders sein?!) im Unigebäude stattfand (mit Punk-Band und Djs auf den Fluren).

Die Uni brennt weiterhin...

Mittlerweile ist die Bewegung auch digital gut organisiert und es verfolgen bereits Tausende die Besetzung täglich per Live-Stream im Internet (http://www.ustream.tv/channel/unsereuni). Es wird getwittert, gechattet und man organisiert sich per facebook oder myspace.

Auch bezüglich der einzelnen Institutionen etablieren sich fortlaufend Gruppen, die die Bewegung aus Perspektive des jeweiligen Studiums heraus betrachten und ihre Lehrenden zur Solidarität auffordern. Diese kommen der Forderung zunehmend auch tatsächlich nach und arbeiten z.T. auch aktiv an der Bewegung mit, denn auch sie haben Grund zum Protest: Prekäre Dienstverhältnisse machen ihnen das Leben schwer.
Solidarisch zeigen sich auch zahlreiche Kindergärten, Schulen und Arbeiter; der ÖGB (Österr. Gewerkschaftsbund) sicherte gestern (29. 10.) seine Solidarität zu.

Zudem wurden im Laufe der Tage weitere Unversitäten in Wien besetzt: Die TU Wien, die Akademie der bildenden Künste in Wien (seit Anfang an), die Boku Wien, sowie Räumlichkeiten der Unis in Graz, Innsbruck und Linz (Aktueller Stand: http://unibrennt.at/wiki/index.php/Aktueller_Stand_%C3%B6sterreichweit).

Demonstrationen wurden organisiert und veranstaltet. Die größte fand am Mi, den 28. Oktober in Wien statt, die größte, die ich selbst je miterlebt habe. Ca. 25.000 – 30.000 Demonstranten zogen vom Hauptunigebäude den Ring entlang, trafen auf Demonstranten der TU Wien und der Akademie und setzten gemeinsam den Protestzug durch den 1. Bezirk und schließlich zurück zur Hauptuni fort. Trillerpfeifen wurden verteilt, die für großen Lärm sorgten, ein Sarg der „freie Bildung“ repräsentierte wurde zu Grabe getragen, ein Wagen mit elektronischer Musik brachte viele Demonstranten zum Tanzen. Schließlich fand eine große Abschlusskundgebung vor der Uni statt und es wurde wieder gefeiert bis in die Morgenstunden.



Auch nach der Großdemo geht die Besetzung weiter und weitet sich auch unaufhaltsam aus. Es wird viel diskutiert, Vorträge werden gehalten, eine eigene Küche gibt es schon auf der Hauptuni und auch auf der TU in Wien, Schlafsäle sind vorhanden. Hat man am ersten Tag noch das Gefühl gehabt, es würde alles noch im Chaos versinken, so beobachtet man heute in den Fluren um das Audi Max ein gut organisiertes, reges Treiben.

Wie lange noch?

Doch so aufregend das Ganze auch sein mag.. es stellt sich nun doch die Frage: Wie lange soll die Besetzung anhalten?

„Solange noch Essen da ist.“, hieß es von vielen Seiten. Jedenfalls werden wir sicher nicht abziehe, solange Minister Hahn jegliche Verhandlungen über unsere Forderungen (http://unibrennt.at/?cat=8) verweigert. Wir StudentInnen haben ihn dazu aufgefordert, sich mit uns in Dialog zu begeben, jedoch ist er bislang nur dazu bereit, sich mit der ÖH (österr. Hochschüerschaft) zu unterhalten. Ein Treffen fand gestern statt, es ist allerdings nicht die Rolle der ÖH, unsere Forderungen zu übermitteln, denn wir alle, die Bewegung, sind die Ansprechpartner! Also wird ausgeharrt und weiterhin besetzt.

Ich möchte abschießend an Humboldt erinnern:

„Der wahre Zweck des Menschen, nicht der, welchen die
wechselnde Neigung, sondern welche die ewig
unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt, ist die höchste
und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.
Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßliche Bedingung.
(…) Gerade die aus der Vereinigung Mehrerer entstehende
Mannigfaltigkeit ist das höchste Gut, welches die Gesellschaft
gibt, und diese Mannigfaltigkeit geht gewiß immer in dem Grade
der Einmischung des Staates verloren.
Es sind nicht mehr eigentlich die Mitglieder einer Nation,
die mit sich in Gemeinschaft leben, sondern einzelne Untertanen,
welche mit dem Staat, d.h. dem Geiste, welcher in seiner
Regierung herrscht, in Verhältnis kommen, und zwar in ein
Verhältnis, in welchem schon die überlegene Macht des Staats
das freie Spiel der Kräfte hemmt. Gleichförmige Ursachen haben
gleichförmige Wirkungen. Je mehr also der Staat mitwirkt, desto
ähnlicher ist nicht bloß alles Wirkende, sondern auch alles Gewirkte.
(…) Wer aber für andere so räsoniert, den hat man, und nicht mit Unrecht,
in Verdacht, daß er die Menschheit mißkennt und
aus Menschen Maschinen machen will.“

(Aus: „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ 1972)

Der aktuelle Forderungskatalog:
http://unibrennt.at/?cat=8

Informationen zur Thematik finden sich auf:
http://www.unsereuni.at
http://twitter.com/unibrennt

Kontaktemail: unibrennt@gmail.com

Solidarisiert euch mit uns! Unterstützt uns, wenn ihr könnt! Für eine freie Bildung!

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.