Sonntag, 19. Oktober 2008

Island kann uns auch blühen

Auf vielerlei Art akzeptierten wir völlig unkritisch das kapitalistische System, welches aussieht wie ein gigantisches Kasino ohne Eigentümer. Am Ende glaubten wird, wir können „Geld für nichts“ bekommen, und jetzt sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass wir nichts für unser Geld erhalten.

Von Professor Gauti Kristmannsson der Universität Island

Island ist in einem neuen Roman von Franz Kafka aufgewacht, wo jeder grundsätzlich ein Sünder ist. Eine Bank nach der anderen wurde vom Staat übernommen, und den Isländern, um Gottes willen, wurde gesagt, dass jeder nun Millionen von Dollar schuldet ... an wen wissen wir nicht. Die ernsten Mienen der Politiker, Banker und Magnaten die fast weinten, gaben uns das endgültige Gefühl des Surrealen. Die Situation kann man nur mit dem Fall der Mauer 1989 und der 9/11 Attacke vergleichen ... etwas endgültiges, aber zu hoch für den einzelnen, um zu verstehen was passiert ist.

Nur diesmal, statt dass wir Zuschauer sind, sitzen wir mitten drin. Die ersten 500 Bankangestellten haben alle auf einmal ihren Job verloren, viele andere warten auf den Doppelschlag des Arbeitsplatzverlustes und ihr Haus zu verlieren, während ihre Hypothekenzahlungen rapide steigen. Als der Aktienmarkt in Reykjavik am Dienstag nach drei Tagen der Schliessung wieder eröffnete, fiel der Index, beherrscht durch bankrotte Finanzinstitutionen, um 75 Prozent seines Wertes.

Plötzlich bilden sich lange Schlangen in den Banken für Fremdwährungen, und es wurde ein Limit eingeführt, wie viel man abheben darf ... ausländische Banken weigern sich unsere Währung, die Krone, die im freien Fall ist, zu akzeptieren. Einer meiner Studentin, die in Spanien studiert, bekommt kein Geld aus Island um ihre Miete zu bezahlen. Importeure und Exporteure bekommen keine Fremdwährungen um ihr Geschäft zu betreiben. Isländische Touristen im Ausland sind gestrandet und kriegen kein Geld aus den Automaten. Die britische Regierung hat Antiterrorgesetze angewendet, um das Vermögen der isländischen Banken einzufrieren, die Liste geht weiter, wie wenn es ein Drehbuch für einen Albtraum der Globalisierung wäre.

Wir dachten wir hätten Freunde, in Europa und den Vereinigten Staaten. Sie wurden in der Stunde der Not angefragt, aber wir fanden sie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt ... nur die Skandinavier reichten uns eine helfende Hand, und dann, ganz plötzlich, Russland ... irgendwie hat sich die Welt verändert. Die Enttäuschung über unsere alten „Freunde“ ist sehr gross und die Menschen fragen, haben wir uns schlechter verhalten als die anderen?

Die Leute machen Witze über eine Rückkehrer zu den 70ger Jahren, als es Restriktionen gab, über wie viel an Währungen man ins Ausland nehmen durfte und die Regierung regelmässig die Krone abwertete, um die Ausgaben für Luxusartikel einzuschränken. So schlimm war es auch nicht damals, sagen sie, ausser der Männermode, mit den weiten Hosen und hohen Absätzen, vielleicht.

Aber die Witze sind nicht lustig, denn wir haben an der Party seit den 90ger Jahren teilgenommen, haben unser Geld in Wohnungen gesteckt, Häuser, Autos, technische Spielereien, Aktien ... das Geld dafür haben wir uns geborgt. Nach einer Ära der Entbehrungen, waren wir gierig die neuen Freiheiten des Kapitalismus und der Kreditkarte zu geniessen. Wir glaubten alles würde aufgehen, in der Tat haben uns die Schwärmer der freien Marktwirtschaft das immer wieder eingeredet. Und die meisten von uns konnten ihre Hypothek und Kreditkarte bezahlen, wenigstens bis letzte Woche.

Jetzt wissen wir nicht mehr ob wir es können, der Schock sitzt so tief, dass weder Wut noch Kummer uns erfasst hat. Wir dachten Island wäre ein unabhängiges Land, dass für sich selber sorgen kann, ohne der Hilfe aus Russland oder dem Weltwährungsfonds, dass unsere Währung etwas bedeuten würde, dass wir Firmen und Banken auf der ganzen Welt besitzen dürfen. Wir dachten wir könnten unser wunderschönes Land geniessen und die saubere Luft, im Hinterhof der Blechhütte.

Auf vielerlei Art akzeptierten wir völlig unkritisch das kapitalistische System, welches aussieht wie ein gigantisches Kasino ohne Eigentümer. Am Ende glaubten wird, wir können „Geld für nichts“ bekommen, und jetzt sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass wir nichts für unser Geld erhalten.

Was wir jetzt tun sollen weiss niemand, am wenigsten die Politiker, die Banker und die Magnaten, aber dann wiederum, ich hörte, dass eine neue Auflage des „Kommunistischen Manifest“ wieder im Herbst herausgegeben wird. Zufall selbstverständlich, aber wie alles andere irreal. Kafkas Island wird ein Ende haben, völlig anders als wir uns das jemals vorstellen können. (NYT)

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