Dienstag, 10. November 2009

Und was ist mit der anderen Mauer?

Die Deutschen freuen sich über den Mauerfall während die Palästinenser zuschauen müssen wie ihre Mauer grösser und immer länger wird.

Meine persönlichen Erlebnisse bleiben mir gut in Erinnerung, denn ich war von 1972 an oft in Westberlin, hatte gute Freunde dort, bin über Check-Point Charley in den Osten rüber und hab gesehen wie schmerzhaft für die Menschen eine getrennte Stadt sein kann. Erlebte die Kontrollen, sah die Panzersperren und den Stacheldraht. Wärend auf dem Ku'damm Verkehrschaos herrschte, konnte man auf der Karl-Marx-Allee Fussball spielen, so wenig Autos fuhren dort. Der Unterschied zwischen der Welt des Kadewe und des real existierenden Sozialismus konnte nicht grösser sein.

Als dann die Mauer sich im November 1989 öffnete, die Menschen in Strömen „rüber“ kamen und sich überglücklich in die Arme fielen, war ich auch voller Emotionen. Mein Bruder und ich nahmen den nächsten Flieger von Zürich nach Berlin und wir waren mitten drin im Geschehen, sahen die unglaubliche Veränderung, an die keiner nur Wochen vorher geglaubt hatte. Ja, ein Stück der Mauer hab ich auch mitgenommen, dieser Betonbarriere die solange als Symbol der menschenfeindlichen Diktatur dastand. Die Freude war gross.

Nur jetzt, für mich und für viele Menschen im Nahen Osten und überall auf der Welt, ist dieses zwanzigjährige Jubiläum auch mit dem schmerzlichen Gedanken verbunden, es gibt eine andere Mauer die niedergerissen werden muss. Der überhohe Betonwall und Stacheldrahtzaun der quer durch Westjordanland geht, der genau wie damals Berlin und Deutschland aufteilte, jetzt quer durch Palästina verläuft, Familien, Dörfer und Städte trennt und sie von der Aussenwelt aussperrt.

Bald ist Weihnachten. Wenn Maria und Josef, sowie die heiligen drei Könige, heute nach Bethlehem wollten, sie kämen gar nicht rein, die Stadt ist durch eine 8 Meter hohe Mauer umgeben, die schweren Stahltore sind geschlossen und von den Wachtürmen wird jede Bewegung beobachtet und auch daraus auf Menschen geschossen.

Was gestern mit einer grossen Party in Berlin gefeiert wurde, die Öffnung und Verschwinden der Mauer, von dem können die Palästinenser nur träumen. Sie erleben jetzt in diesem Augenblick der Feier und Freude in Berlin, die unmenschlichen Konsequenzen der Trennung, fürchten sich vor dem Todesstreifen und leben eingemauert in einem grossen Gefängnis. Nur, haben die Palästinenser nicht genau so das Recht in einem ungeteilten Land zu leben, genau wie die Deutschen?

Für mich ist es ein Hohn, wenn genau die Leute sich in Berlin feiern lassen, welche gleichzeitig alles tun damit eine andere Mauer in Palästina steht. Ja Merkel, du bist damit gemeint. Eine Mauer welche in ihrer Höhe und Brutalität, die in Berlin lächerlich klein aussehen lässt. Diese Heuchelei und Doppelmoral ist unerträglich! Man stelle sich vor, ausgerechnet Henry Kissinger und Zbigniew Brzeziński wurden als Ehrengäste eingeladen. Das Stelldichein der Massenmörder und kalten Krieger!

Damals wurde die Mauer vom stalinistischen DDR-Regime als “antifaschistischer Schutzwall” bezeichnet. Heute beschreibt das Regime in Israel ihre Mauer verharmlosend als „Antiterrorzaun“, um die illegalen Siedlungen zu schützen, die wie Krebsgeschwüre überall errichtet werden und ständig sich vergrössern. In den letzten 60 Jahren hat man den Palästinensern ein Stück ihrer Heimat nach dem anderen genommen, einfach enteignet, ja brutal gestohlen. Sie wurden in immer kleiner werdende „Reservate“ und Gettos zurückgedrängt und eingepfercht, damit die jüdischen Einwanderer aus fremden Ländern sich ansiedeln können und mehr „Lebensraum“ bekommen.

Statt dass die Zuwanderer sich integrieren, wird eine rassistische „nur für Juden“ Politik gefahren, die Palästinenser dürfen nicht mehr dort sein, werden vertrieben und ausgesperrt. Es wird eine Grenze quer durch das Land gezogen, welche Familien und Freunde von einander trennt, Schüler von ihren Schulen, Studenten von ihren Universitäten, Arbeiter von ihrem Arbeitsplatz und Bauern von ihren Feldern. Die Bevölkerung in Palästina leidet und lebt als Nation in einem Gefängnis.

Laut B'Tselem, die israelische Menschenrechtsgruppe, hat die Mauer eine halbe Million Palästinenser vom Rest des Westjordanlandes abgeschnitten. Wohngemeinschaften sind zwangsweise auseindergerissen. Nicht wie vor 20 Jahren in Deutschland, sondern jetzt und heute.

Bereits vor fünf Jahren hat der Internationale Gerichtshof das Urteil gefällt, Israel muss mit dem Mauerbau aufhören, sie wieder entfernen und muss den Palästinensern eine Entschädigung zahlen. Die UNO-Vollversammlung hat mit überwältigender Mehrheit diesem Urteil zugestimmt. Nur die israelische Regierung kümmert dieses Urteil und der Wille der Weltgemeinschaft einen Dreck. Seit diesem Urteil hat sich die Länge der Trennungsmauer verdoppelt und wird noch um ein Drittel wachsen.

Das DDR-Regime hat damals die Mauer aus ihrer Sicht errichten müssen, weil sonst ihr Herrschaftsbereich zusammengebrochen wäre, das Land wäre ausgeblutet und der westliche Einfluss hätte das kommunistische Gesellschaftssystem "zersetzt". Es war eine „Selbstverteidigung“ vor dem „bösen Westen“. Was sie mit der Mauer erreicht haben war aber nur eine zeitliche Verzögerung ihres Endes, welches in den 28 Jahren ihres Bestehens furchtbar viel Leid verursachte. Das unvermeidbare konnte nicht verhindert werden. Die Mauer war bereits bei der Errichtung das Eingeständnis ihres Versagens.

Genau so verhält es sich in Palästina. Die Notwendigkeit der Errichtung einer Mauer ist das Zeichen eines völligen Versagens und Unhaltbarkeit der rassistischen Politik Israels. Die israelische Regierung behauptet zwar, die Mauer dient nur als Kampf gegen den Terror und Schutz der eigenen Bevölkerung, aber das ist nicht die Wahrheit und klingt genau wie die Ausrede des DDR-Regimes.

Erstens hat der Internationale Gerichtshof ein „Recht auf Selbstverteidigung“ der israelischen Regierung abgesprochen, weil es sich nicht um „Angriffe“ aus einem fremden Land handelt, sondern um eine Barriere in einem einheitlichen Gebiet welches unter israelischer Kontrolle steht.

Zweitens, statt den Grund für den Widerstand der Palästinenser zu lösen, nämlich mit den illegalen Siedlungen aufzuhören, ihnen alle Rechte zu nehmen und sie wie Tiere zu behandeln, wird nur das Symptom bekämpft. Es werden alle Palästinenser als Terroristen bezeichnet und einer Kollektivstrafe unterworfen, einschliesslich Frauen und Kinder. Das ist unter internationalen Recht verboten.

Und drittens, der wahre Grund für die Mauer ist die Verhinderung einer gemischten Gesellschaft. Israel will nicht mit der arabischen Bevölkerung zusammen leben, will nicht eine multikulturelle Gesellschaft sein, sondern ein rein jüdischer Staat bleiben. Ihnen ist bewusst, alleine durch die Geburtenrate würden die Palästinenser innerhalb der nächsten Dekaden die Mehrheit bilden. Das geht selbstverständlich nicht. Deshalb werden alle Nicht-Israelis abgeschoben, hinter eine Mauer eingesperrt, kein Durchgang möglich.

Ausgerechnet die Politiker in Deutschland und allen anderen westlichen Ländern, welche sich für eine multikulturelle Gesellschaft vehement einsetzen, ja die ungezügelte Einwanderung fördern und laufend scheinheilig Toleranz, Akzeptanz und Integration in den christlichen Ländern fordern, sind genau die welche aber die rassistische, intolerante, ausgrenzende Politik Israels gegenüber der moslemisch arabischen Bevölkerung schützen und ermöglichen.

Ja sie beschönigen und entschuldigen die ethische Säuberung, die Vertreibung und die Tötung der Palästinenser, sie finden es sogar gut wenn Israel tausende Tonnen Bomben auf Gaza wirft, auf eine Zivilbevölkerung die völlig wehrlos ist, bei der über 1'400 Menschen ermordet wurden, einschliesslich unschuldige Frauen und Kinder. Sie gehen sogar her und machen alles damit der Goldstone-Bericht, der die Kriegsverbrechen die Israel im Gaza-Krieg begangen hat aufführt und verurteilt, in einer Schublade verschwindet, nicht vor der UNO dikutiert werden darf.

Diese Doppelmoral ist unerträglich und zeigt was sie sind, Heuchler, Lügner und Verräter an der Menschheit. Es gibt keine Untermenschen die nur Tiere sind, die man abschlachten kann, oder Übermenschen die sich jedes Recht herausnehmen können. Hat man uns das nicht seit Ende des II. WK gelehrt? Hat man aus der Geschichte nichts gelernt?

Und zu diesen Heuchlern gehört auch die irische Gruppe U2, die ein Konzert vor dem Brandenburger Tor gestern gab. Bono soll doch mal wirklich zeigen, dass er nicht nur ein Feigenblatt der herrschenden Klasse ist und sich auf ihren Megajachten sehr gerne aufhält, während er viel Geld mit Liedern über Menschenrechte und Frieden verdient, sondern er soll auch ein Konzert vor der Mauer in Palästina geben und sich für deren Entfernung einsetzen.

Menschenrechte gelten überall und für alle. Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit, Selbstbestimmung und Würde. Solange die Palästinenser diese nicht bekommen, wird es nie Frieden im Nahen Osten geben. Sie werden nicht einfach verschwinden, sich in Luft auflösen und auch nicht aufgeben. Nur wenn die israelische Gesellschaft und die Welt das akzeptiert und ihre Einstellung ändert wird es wirklichen Frieden für alle geben.

Gestern wurde der Fall der Mauer in Berlin gefeiert. Nächstes Jahr wird das Ende der Apartheid in Südafrika zelebriert. Diese beiden Ereignisse haben uns gezeigt, wenn diese Barrieren entfernt werden, entweder physische Barrieren, rechtliche Barrieren, oder die Barrieren die Menschen in ihrem Herzen aufgebaut haben, dann ist der Weg für Fortschritt, Frieden und Entwicklung auf beiden Seiten möglich. Die Palästinenser sehnen sich nach Gerechtigkeit, Frieden und Aussöhnung. Mehr als 60 Jahre des Leidens sind genug.

Deshalb, was ist mit der anderen Mauer? Wann wird die endlich abgerissen?

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